Im Wald von Milly-la-Forêt führt ein breiter Weg zur monumentalen Skulptur von Jean Tinguely. Als Seppi Imhof als Assistent des Künstlers zwischen 1969 und 1982 am Zyklopen-Projekt mitwirkte, war der Waldweg für nicht eingeweihte kaum zu vernehmen. Man arbeitete heimlich, revolutionär und mit der Vision ein monumentales Kunstwerk aus eigener Kraft aufzustellen. Keine Sponsoren, Galerien, in kurz: keine Kultur-Industrie die am Zugpferd zog und das Projekt unterstützte. Dafür lebten die Kunstschaffenden in einer gewissen Narrenfreiheit, hämmerten und schweissten wie sie für richtig glaubten und fanden irgendwie immer das, was sie brauchten.
Der heutige Weg ist institutionalisiert und trägt die Würde eines grossen kulturellen Erben, verzaubert überzeitlich, grossartig im wahrsten Sinne des Wortes. Vor dem Anblick des Zyklopen empfing uns Fatima, eine ehemalige Mitarbeiterin von Seppi, welche sich heute um den Unterhalt der Skulptur kümmert. Das Tor wird geöffnet und eine private Begegnung mit dem Wald-Monster beginnt, denn die Association la Cyclope hat heute die Anlage für unsere exklusive Führung geschlossen.
Nach dem herzlichen Empfang von Francois Talliard, dem Direktoren der Association La Cyclope Direktoren Cyclope, beginnt Seppi zu erklären, wie die massiven Eisenteile mit Manneskraft gehievt und installiert wurden.
Einen Kran haben sie schliesslich auch noch selbst gebaut. Aber meistens ginge das Material mit der Handkraft, den Ästen des Waldes empor. Und oben war Seppi "des Schweissens nie müde".
Nach der ersten Begegnung auf Distanz, wollen wir natürlich auch das Innenleben verstehen und all die wundersamen Ecken des Riesen erfahren. Das schwere eiserne Tor wird geöffnet und unsere Reise in eine faszinierende Wirklichkeit beginnt.
Es sind vier Stockwerke, die zwischen 1969 und 1982 gebaut wurden und sich mit vielen Kunstwerken aus dem Kollektiv weiterer Künstler:innen ausweisen, die damals am Projekt intensiv mitgewirkt haben. Unter anderem entstand so Daniel Spörris 'Hotel Zimmer', das Zimmer aus seinem Pariser Hotels, mit authentischen Möbeln und Artifakten repliziert; nur halt noch schwindelregend um 90° gedreht – ein kleiner, aber wirkungsmächtiger Unterschied. Weiter gibt es ein Kunstwerk mit den Handschuhen (Arbeithandschuen) von Arman, kleine prunkvolle Textil-Plastiken von Giovanni Podesta, mystische Skulpturen von Eva Aeppi, verschiedene Kunstwerke von Bernhard Lügenbühl, Zeichnungen auf Plexiglas von Larry Rivers und natürlich farbige Plastiken von Niki de Saint Falle, wie beispielsweise der grosse, im gestohlenen Rohr des Centre Pompidou (eine Nacht und Nebel Aktion in Paris) platzierter Totenkopf (L`Incitation au suicide, 1978).
Und dann, wie ein Tempel auf dem Olymp, im 4. Stockwerk des Zyklopen, ruht eine fantastische Hommage an Yves Klein von Tinguely an seinen engen, 1962 verstorbenen Freund. Ein einfaches, sich über das ganze oberste Stock ausstehende, mit Wasser gefühlte Viereck. Hier reflektiert sich der Himmel und färbt dabei in unserer Wahrnehmung das Wasser in einem, je nach Wetterlage, monochromen Blau. Das Wasserbecken eröffnet so eine scharfsinnig und gleich auch poetische Referenz auf das Lebenswerk des Künstlers und dessen Beziehung zur spezifischen Farbmischung, die Klein gemeinsam mit einem befreundeten Apotheker entwickelt hatte und als IKB, International Klein Blue, patentieren liess.
Das gespiegelt Blau auf dem Kopf des einäugigen Riesen kam nicht ohne die eine oder die andere Wolke aus und trotz der milden Temperaturen war inmitten der Baumkronen zu spüren, der Herbst ist goldig und er ist da. Neben einzelnen Blättern in der Yves Klein Hommage war zuweilen Seppi in der Wasseroberfläche gespiegelt zu sehen. Mit einem etwas anderen Blick hatten wir sowohl den jungen Seppi vor uns, Tag ein Tag aus mit der Arbeit am Zyklopen beschäftigt und wie auch den gegenwärtigen; wir erlebten wahrlich eine Zeitreise und Kunstreise zugleich.
Comentários