Das Castello della Manta liegt bei Saluzzo etwa 50 Kilometer von Alba entfernt. Markgraf Valerano di Saluzzo baute die Festung zu einer gotischen Residenzburg aus. Im zweiten Geschoss der Burg hat das Mittelalter einen schönen farbenfrohen Festsaal hinterlassen. Er ist ein Beweis dafür, dass das Mittelalter nicht nur Kirchen, Klöster und Kriege kennt, sondern auch die profanen Seiten des Lebens beschreibt. Zur Dekoration des Saales hat man hier 1420 zwei Themen aufgegriffen: eine Art Galerie des politischen Lebens der Markgrafschaft und ein farbiges Bild eines Jungbrunnens.
Valeranos Vater, Tommaso III. von Saluzzo war ein gebildeter Herrscher, der mit Feder genauso erfolgreich war wie mit dem Schwert. Während seiner Kriegsgefangenschaft bei den Savoyern verfasste er eine Art Ritterroman: Le chavelier errant. Auf Blatt Nr. 125 der erhaltenen Pariser Handschrift lässt Tommaso III seinen Ritter einen Saal betreten, in dem neun Helden der Mythologie und Geschichte beisammen sind. Eben jene heldenhaften Herrscher liess sein Sohn Valerano an der Westwand des Festsaals darstellen. Mit welchem Ziel?
Valerano war ein unehelicher und damit illegitimer Sohn Tommasos. Ein Bildprogramm im Festsaal der Burg sollte seine Ansprüche auf den Thron legitimieren. Wer die Bildauswahl getroffen hat, ist nicht überliefert. Da sie aber direkt auf die Schriften des Vaters verweisen, ist eine Beteiligung von Valerano anzunehmen. In diesem Saal sollten neben den besagten Helden, die man aus den Schriften des Tommaso III. kennt, auch neun Heldinnen dargestellt werden. So erscheinen neben Hector, Alexander dem Grossen, Julius Cäsar und weiteren männlichen Protagonisten auch die Nymphen, Prinzessinnen und Königinnen der griechischen Mythologie.
Angeführt werden die Helden von Hektor, der die Gesichtszüge des Auftraggebers aufnimmt. Er ist einer der wichtigsten Helden und Heerführer Trojas im zehnjährigen Trojanischen Krieg und wird in der Ilias ob seiner Tapferkeit gerühmt. Handelt es sich hier um ein Versprechen Valeranos an die politische Elite der Markgrafschaft Saluzzo einen langen Krieg gegen Turin zu führen? Neben Valerano erscheint an der Wand sein Vater, Tommaso III. in der Gestalt Alexanders des Grossen, der auf seinen Sohn zeigt. Dies darf man als Hinweis verstehen, dass Tommaso seinen Sohn als legitimen Nachfolger ansah, oder zumindest soll das Bild dies suggerieren.
Auf der gegenüberliegenden Wand nimmt eine lebendige Szene des Jungbrunnens einen grossen Teil der Wand ein. Sie stellt ein Idealbild des sinnlichen Lebens der Zeit dar. Erschöpft reiten und laufen ältere Personen dem Brunnen entgegen: Könige und Königinnen, Kirchenmänner, die Armen und die Reichen, Männer und Frauen. Ein Page hilft seinem Herrn vom Ross herabzusteigen. Eine Frau zieht ungestüm ihr Kleid aus. Dem Brunnen nahekommend drängen sich die erschöpften, müden Körper. Alle wollen eilends in den Jungbrunnen steigen, manche benötigen auch dazu Hilfe.
Die im Wasser des Jungbrunnens sich badenden Körper verjüngen sich und holen sich die Jugend zurück. Die Zeit dreht sich zurück, sie bekommen wieder eine gesündere Farbe. Die Jugendlichkeit zeigt sich auch im Verhalten: Man umarmt und küsst sich, das Lächeln erscheint wieder auf den Gesichtern. Das Spiel wirkt erotisch, und das in aller Öffentlichkeit?
Nun, ganz so öffentlich kann nicht alles von statten gehen. Ein Paar im Hintergrund erweckt unsere Aufmerksamkeit. Ein alter Mann mit spitzem Gesicht zieht eine Frau mit rotem Gewand zu sich. Der Text beschriebt dessen Absicht ziemlich genau. Er: "komm mit mir in den Wald und treiben wir es weiter". Sie: "Ja, gehen wir in den Wald, so sehen sie uns nicht". Was nicht gesehen werden darf, ist der sexuelle Akt. Die Kombination aus altem Mann und junger Frau mit rotem Gewand zeigt, dass es sich hier um eine Prostituierte handeln muss. Eine Art der 'Liebe', die von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert wurde. In der Kombination mit den sich im Brunnen und darauffolgend auf den Pferden unschuldig küssenden Personen erklärt sich die Bedeutung des Jungbrunnenmotivs. Hier geht es um die Tugend der höfischen Liebe, der Minne, die eben nicht mit sexueller Lust zu verwechseln ist.
Der Mann auf dem braunen Pferd trägt auf der Hand zwei Falken, er ist ein adliger Jäger, der sich der Falkenjagd erfreut. Wiederum ein höfisches Motiv. Und zuletzt soll noch einmal auf die Kleidung verwiesen werden. Die aufwendigen Hauben der Damen und der rote Chaperon des Mannes in der Mitte des Bildes verweisen auf die burgundische Hofmode, dem im 15. Jahrhundert elegantesten Hof in Europa.
In der Kombination mit den Helden und Heldinnen der gegenüberliegenden Seite des Festsaales wird im Castello della Manta ein Tugendprogramm entworfen, welches auf intelligente Weise nicht nur die herrscherliche sondern auch die höfische Tugendhaftigkeit Valeranos und seine kulturelle Bildung betont. Damit beweist das Bildprogramm des Saals, dass Valerano ein tugendhafter und gebildeter, kurz, ein humanistischer Markgraf ist, was ihm Legitimität verleihen soll obwohl er kein ehelicher Sohn Tommasos ist.
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