Im Sommer 1915 eröffnete das Victoria & Albert Museum in London eine Ausstellung zum Œuvre von Ivan Meštrović, einem jungen Bildhauer aus Dalmatien, das damals noch Teil des österreichischen Kaiserreiches war. Eine grosse Kunstausstellung im Krieg ist an sich schon ein interessantes Phänomen. Eine Ausstellung über einen Künstler, dessen Herkunft, Ausbildung und politische Überzeugung in einem direkten Zusammenhang mit diesem Krieg standen, verdient es, noch ein wenig genauer betrachtet zu werden.
Seine künstlerische Ausbildung genoss Ivan Meštrović als Student der Wiener Kunstakademie. Im dortigen Archiv findet man seine Immatrikulationsbestätigung für das Studienjahr 1901/1902 mit der Wohnadresse Neubaugürtel 40, 1120 Wien. Dort absolvierte er 3 Jahre die Allgemeine Bildhauerschule bei Prof. Edmund Hellmer. Hellmer führte an der Akademie einen revolutionären Weg in der bildhauerischen Pädagogik ein: Darstellungen nach der Natur sollen das Kopieren von Statuen ersetzen. Genau dieses Talent besass der junge Meštrović. Auf der anderen Seite konnte er sich dem Einfluss der Wiener Sezession nicht entziehen. Meštrović selbst war befreundet mit Klimt und wurde von Otto Wagner für seine Skulpturen durchaus respektiert. So entstanden Arbeiten mit expressiven, monumentalen Interpretationen des menschlichen Körpers mit gleichzeitig dekorativen, stilisierenden und sich auf das "Gesamtkunstwerk" orientierenden Elementen. Treffende Beispiele dieser Schaffensphase sind der "Sklave" (1908) und die "Verkündigung", die 2 Jahre vor der Londoner Ausstellung gestaltet wurde.
Die Organisation der Ausstellung im Victoria & Albert Museum in den Händen des britischen Historikers Robert William Seton-Watson stand von Anfang an im politischen Spannungsfeld zweier internationaler Interessengruppen. Eine Gruppe waren die südslawischen Emigranten aus Österreich-Ungarn. Sie sahen die Ausstellung als propagandistische Chance für die Durchsetzung eines föderalistischen Staates, in dem Serben, Kroaten, Slowenen und andere Süd-Slawen zusammenleben sollten. Auf serbo-kroatisch heisst "der Süden" - "Jug", folglich nannte sich das später entstandene Land Königreich Jugoslawien. Auf der anderen Seite stand die Regierung des Königreichs Serbien, das Land, welches mit Grossbritannien, Frankreich und Russland im Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet war. Politisches Ziel dieser Gruppe aus Belgrad war die Gründung eines zentralistischen Königreichs Gross-Serbien. Die Ausstellung sollte deswegen eine passende Plattform bieten, um dieses grössere Serbien auf der internationalen Bühne zu etablieren.
Es überrascht deswegen nichts, dass im Vorfeld der Ausstellung eine grosse diplomatische Debatte geführt wurde. Selbst die Namensgebung der Ausstellung wurde zum Politikum. Konkret: Ist Meštrović ein serbischer oder ein jugoslawischer Künstler? Ein Blick auf das Plakat der Ausstellung liefert die Antwort des politischen Tauziehens: Es war die Ausstellung eines südslawischen Künstlers.
Das Plakat kommuniziert zwei grosse visuelle, künstlerische Themen der Ausstellung. Auf der einen Seite erkennt man die Inspiration aus dem Kreis der Wiener Sezession, die sich schon durch die Typografie des Plakates bemerkbar macht. Auf der anderen Seite steht das Episch-Heroische, das Monumentale in der Kunst von Ivan Meštrović, welches an die klassisch-antike Kunst Italiens und deren Rezeption durch Künstler wie Michelangelo erinnert. Unter diesen beiden Vorzeichen sind auch die folgenden beiden Skulpturen eines Helden der Schlacht auf dem Amselfeld und ein Helden-Torso thematisch einzuordnen.
Als schlussendlich die politischen Herausforderungen aus dem Weg geräumt, die Ausstellungsobjekte bestimmt und die Plakate gedruckt waren, konnte man sich der Vermarktung der Ausstellung widmen. Seton-Watson entwickelte dazu eine sehr erfolgreiche PR-Kampagne, welche die Künstlerpersönlichkeit Ivan Meštrovićs ins Zentrum stellte. Die Journalisten wurden mit einem romantisierenden Lebenslauf beliefert, der sich auf drei Punkte reduzieren lässt. Erstens: seine Kindheit in einem armen Dorf im Hinterland Dalmatiens; ein talentierter Junge der seine ersten Arbeiten als Hirte macht. Zweitens: sein grosses Talent wird schnell entdeckt und durch seinen ersten Lehrmeister in Split gefördert, bevor er im Eiltempo nach Wien zur berühmten Akademie geht. Drittens: ein junger Dalmatiner Kroate, der sich für die grossen Ideale der Freiheit der Völker entscheidet. Im Zentrum stand hier die Freiheit eines kleinen Volkes, das von der Regierung in Wien kaum geachtet, dafür aber gnadenlos ausgenutzt wurde. Das war das perfekte öffentliches Bild in Großbritannien, das im Great Patriotic War nun eben gegen das gleiche, unsympathische Wiener-Regierung Krieg führte. Spätestens hier wird klar, dass die Ausstellung im Victoria & Albert Museum nicht nur slawische Interessen verhandelte, sondern auch britische Interessen zur moralischen Konditionierung der eigenen Bevölkerung bediente.
Für grosse öffentliche Aufmerksamkeit sorgte auch ein kleiner politischer Eklat bei der Eröffnung der Ausstellung. Der serbische Botschafter Bošković verweigerte seine Teilnahme als Protest dagegen, dass Meštrović im Ausstellungstitel, dem Katalog und den übrigen Texten nicht als Serbe definiert wurde. Trotzdem wurde die Ausstellung "a smashing success". Sie war ein Triumph der kulturellen Diplomatie, eine wichtige Anerkennung des künstlerischen Schaffens eines jungen Talents aus einem kleinen Land und ein grosser Erfolg für das Museum selbst.
Das Victoria & Albert Museum, oft kurz und knapp V&A gennant, wurde 1852 in South Kensington in London eröffnet und beherbergt mittlerweile die grösste Sammlung von Kunstgewerbe und Design der Welt. Wir besichtigen das Museum während unserer England Reise mit Prof. em. Dr. Barbara Schellewald und werden dort mehr über das Entstehen dieses Museums in einem breiten kulturellen Kontext erfahren. Die Kunstwerke von Ivan Meštrović sowie seinen Geburtsort können Sie während unserer Reise: "Mein Kroatien: auf einer Kreuzfahrt erzählt" erleben. Und auf unserer Reise zu
"Den bedeutendsten Klöstern des Südbalkans" werden wir während unseres
Aufenthaltes in Belgrad die dortigen monumentalen Skulpturen des kroatischen Bildhauers sehen können.
Commentaires