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Kojich Reisen zur Kunst

Die Schönheit des Alltäglichen, eine kleine Kulturgeschichte des Stilllebens.

Vor einer nüchternen, in dunklem Graubraun gehaltenen Wand, zieht ein prächtiges Blumenarrangement die Aufmerksamkeit seines Beschauers. Beinahe die ganze Fläche des Bildraumes einnehmend, präsentiert sich die Natur von ihrer vielfältig anmutenden Schönheit. So wird die auf einem schlichten Holzgestell ruhende Glasvase, durch die von ihr gefassten Blätter und Blüten des ausufernden Arrangements verdeckt und optisch nahezu aufgelöst. Nichts in diesem Innenraum scheint von den Blumen ablenken zu wollen und es scheint fast, als solle dabei in Vergessenheit geraten, was die Bedingungen unserer „Natur“-Kontemplation hier tatsächlich ist: nämlich keine unmittelbare, sondern eine durch die Technik der illusionistischen Malerei geschaffene. Das Auge verführende, ja gar täuschend im Glauben verhaftend, echte Blumen zu sehen, ist wahrhaftig Produkt einer Kulturgeschichte, die – hier buchstäblich – ihre Blütezeit im barocken Europa des 17. Jahrhunderts erfuhr.


Jacob van Walscapelle, Stillleben mit Blumen, ca. 1670, Öl auf Leinwand, 65 x 51.5 cm, Rijksmusuem, Amsterdam


Die Gattung des Stilllebens, das unbewegte Dasein bezeichnend, wie uns ein Blick in die aus dem Niederländischen stammende Begriffsgeschichte (stil leven [niedl.] stil; unbewegt – leven; Dasein) verlauten lässt, widmet sich der Darstellung regloser Gegenstände. Dem Zweck dienlich, die Schönheit des alltäglichen Lebens wiederzugeben, folgt die Auswahl und Organisation der reglosen Objekte einem ästhetischen Genuss. Jedoch bindet sich nicht selten an die Zusammenstellung der dargestellten Elemente eine symbolische Bedeutungsebene. Die Verschiebung von Figuren als Handlungsträger bildlicher Darstellungen zu Objekten als Träger einer inhaltlichen Botschaft, sieht die Kunstgeschichte als einen wichtigen Aspekt in der Herausbildung des Stilllebens als autonome Bildgattung zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Bis dahin war das Stillleben im weiteren Sinne als dekoratives Element und Ornamenten im Kunsthandwerk diverser Kulturräume vertreten, und in der Malerei nur als Beiwerk eines ganzheitlichen Bildprogramms zu verstehen. So finden sich Stilllebenelemente beispielsweise bei der Verkündigungsdarstellung; die Lillie, Vase und das aufgeschlagene Gebetsbuch sind oftmals inhaltlich mit dem Bildmotiv der Verkündung verwoben.


Ein Arrangement aus Blumen, Vase und Buch als bildwürdiges Sujet wird jedoch erst mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts und der Etablierung des Genres möglich. Denn die Bildgattung Stillleben im engeren Sinne meint lediglich die Darstellung der Objekte, menschliche Figuren sind abwesend. Anwesend ist der Mensch im Stillleben lediglich implizit, durch die Spuren seiner Handlungen.

Wie zeigt sich dies in unserem Blumenstillleben? Wie bereits festgehalten, ist der vermeintlich unmittelbare Anblick der „Natur“ ein gemachter. Jemand muss das Blumenstillleben hervorgebracht haben, und zwar mit grosser Sorgfalt und künstlerischer Fertigkeit, wohl anzunehmen ist unser jemand, der Maler dieses Gemäldes. Im Vergleich zu anderen Untergattungen des Stilllebens, wie beispielsweise dem Vanitasstillleben, dem Prunk-, Musikinstrument-, oder Waffenstillleben, scheint jedoch die Bezüglichkeit zum menschlichen Subjekt, abgesehen von der Tatsache, dass es von einem gemalt wurde – eine Tatsache, die man jedoch auf jedes Artefakt anwenden kann –, nicht augenscheinlich gegeben. Aus diesem Grund, neben dem persönlichen ästhetischen Gefallen am Genre des Blumenstilllebens, wollte ich über diese spezifische Untergattung einige Zeilen verfassen.

Wo schreibt sich also der Mensch in dieser Ästhetik des Alltäglichen ein? Durch kreative Neugier, Zeit und Arbeit.


Beginnen wir bei also bei der Natur, so schreibt sich die Kultivierung ihrer ein. Es braucht das Wissen und die Arbeit, um Blumen züchten zu können. Blumen wachsen wild, von alleine, ja das stimmt; jedoch nicht überall und nicht zu jeder Zeit. Um Blumen zugänglich zu machen, diese pflücken und vertreiben zu können, braucht es Arbeit. Die Blume wird wie so vieles in unserer Kultur zu einer Handelsware – insbesondere in den Niederladen des Goldenen Zeitalters etablierte sie sich zu einer Handelsware von grossem Wert; man denke an die Tulpenmanie, wo der Wert einer Tulpenzwiebel dem eines kleinen Stadthauses entsprechen konnte. Nun braucht es aber auch das botanische Wissen, um die Blumen klassifizieren zu können, die Vielfalt ihrer zu verstehen und entsprechend zu erhalten. Doch aller Wissen der Welt, wird nicht den natürlichen Lauf der Dinge, die Schönheit in ihrer Vergänglichkeit anhalten zu vermögen. Blumen werden verblühen, und mit etwas Zuversicht, wieder zu ihrer Zeit aus der Erde spriessen. Aber hier kommt die Gunst des Malers. Er kann die Schönheit einer Kurzlebigkeit durch das Studium ihrer Natur mit Pinsel und Farbe festhalten. Mehr noch: Wenn Sie sich auf die verschiedenen Sorten des Blumenstilllebens achten, so erkennen Sie Tulpen, Rosen, Iris und Nelken, bekanntlich nicht zur selben Zeit blühend. Der Maler kann die Zeiten der Natur nicht nur durch die Arretierung von Zeit, sondern durch die Komposition verschiedener Zeitpunkte zusammentragen. Spielerisch zeigt uns der Maler, die Anmut des flüchtigen Genusses, den er gleichwohl auf ewig still stellt. Drei kleine Wassertropfen der Schwerkraft gleichsam trotzend, hängen in der Luft. Die Illusion will nicht für das Wahrhafte gehalten werden, Nein spricht das Stillleben: Ich bleibe ein Bild, das Blumen lediglich zeigt.


Der Genuss des Betrachters liegt in dieser nahezu perfekten Täuschung, das Trompe l’oeil spielt mit ihm. So mag es nicht überraschen, dass sich Blumenstillleben zu einem beliebten Bildsujet des 17. Jahrhunderts etablierten, ermöglichten Sie doch das Vermögen in den Genuss ewig haltender Blumen zu gelangen.


Carla Patricia Kojich



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