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Fabian Felder

Materielle Kontinuität in Syrakus

Wer durch die Altstadt auf der Isola di Ortigia von Syrakus spaziert, wird früher oder später auf die langgestreckte Piazza del Duomo kommen. Die große Kathedrale des Erzbistums Syrakus dominiert den Platz nicht nur dem Namen nach, auch optisch ist die Kirche platzbeherrschend.

Auf den ersten Blick hat man es mit der barocken Wucht sizilianischer Prägung zu tun. Die Fassade türmt sich – Säule auf Säule – in den Himmel, dazwischen Giebel nach oben aufgesprengt und gedrängte Voluten führen den Blick zum schmiedeeisernen Patriarchalkreuz an der Spitze der Fassade. Eine ernsthafte Schwere geht von dieser Fassade aus, die im nächsten Moment die Sprengkraft barocker Prachtentfaltung demonstriert. Das ist der Sizilianische Barock. Wer jetzt denkt, er hätte das Gebäude erfasst, und im Innern eine Flut von Buntmarmor und Gold erwartet, hat sich getäuscht. Dieses Gebäude ist eines der merkwürdigsten der ganzen Insel. Im Innern ist nur wenig Barockes zu sehen, stattdessen tritt uns die ruhige Würde normannischer Romanik entgegen.

Aber mehr noch, wir finden ein Taufbecken des 13. Jahrhunderts, einen Buntmarmorfussboden des 14. Jahrhunderts, eine bemerkenswerte Holzdecke des 15. Jahrhunderts, die Skulptur der Madonna della Neve von Antonello Gagini aus dem 16. Jahrhundert und barocke Elemente aus dem frühen 18. Jahrhundert. Diese Kirche zeigt, dass sakrale Räume Orte sind, die auch als Archiv der Kultur bezeichnet werden könnten. Wenn ein Gegenstand einmal von einem Stifter aus dem ökonomischen Kreislauf entfernt wurde, umihn der Kirche zu übergeben, gelangt er nur selten irgendwann in den Warenfluss zurück. Die Objekte verbleiben, verändern ihre Nutzung und ihre Bedeutung, bleiben materiell aber über Jahrhunderte erhalten. Die Kathedrale in Syrakus ist dafür ein besonders wichtiges Beispiel: Sie zeigt über die Objekte hinaus die Kontinuität religiöser Verehrung an diesem Ort.

Wer in die Kirche hineinkommt, sieht sofort die dorischen Säulen griechischer Herkunft.

An diesem Ort stand über Jahrhunderte ein Tempel der Athene, in ihrer Cella, dem Hauptraum des Tempels, stand einst eine Figur der Göttin, vor dem Tempel wurden die Opfergaben dargebracht. Ab dem 7. Jahrhundert wurde der Tempel umgebaut. Man vermauerte die freien Flächen zwischen den Säulen und schlug Öffnungen in die Seiten der Calla. Auf diese Weise entstand eine dreischiffige Basilika.

Während der muslimischen Herrschaft auf Sizilien wurde der Ort als Moschee genutzt, seit der Neuweihe 1095 blieb er Kirche. Materiell blieb der Tempel erhalten, aber seine Funktion hat sich gewandelt. Während die Cella des antiken Tempels Heimstatt der Gottheit war und von den Gläubigen nicht betreten werden durfte, wurde genau dieser Raum zum Versammlungsraum der Christen. Und darin unterscheidet sich auch die Religion der antiken Griechen von jener der Christen: Während die Kulthandlungen in der Antike als Opferhandlungen auf die Gottheit ausgerichtet waren, ist der Gottesdienst der Christen eine kollektive Erinnerungshandlung, welche auf die Gemeinschaft angewiesen ist.


Mit dem distanzierten Blick eines Menschen des 21. Jahrhunderts scheinen aber der Tempel der Athene und die barockisierte Kathedrale von Syrakus eines gemeinsam zu haben. Man denkt bei beiden unweigerlich an Jeremias, der über die Heiden folgendes zu berichten wusste:


Jeremias 10,3-5:

Denn die Bräuche der Heiden sind alle nichts: Man fällt im Walde einen Baum, und der Bildhauer macht daraus mit dem Beil ein Werk seiner Hände. Er schmückt es mit Silber und Gold und befestigt es mit Nagel und Hammer, dass es nicht umfalle. Es sind ja nichts als Vogelscheuchen im Gurkenfeld. Sie können nicht reden; auch muss man sie tragen, denn sie können nicht gehen. Darum sollt ihr euch nicht vor ihnen fürchten; denn sie können weder helfen noch Schaden tun.


Als Kunsthistoriker gestehe ich, gefallen mir die Vogelscheuchen in Syrakus besonders gut, und das Gurkenfeld der Kathedrale ist es wert, genau hinzuschauen.

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