Betritt man heute den Gardesaal (Salle des Gardes) im Musée des Beaux-Arts des ehemaligen Herzogspalasts in Dijon, so wird man ganz unvermittelt und für ein Museum überraschend mit zwei grossen Grabmälern konfrontiert. Der figürlich ausgearbeitete Sarkophag von Philipp II. dem Kühnen (1342-1404) und das Doppelgrabmal von Johann Ohnefurcht (1371-1419) und seiner Frau Margarete von Bayern (1363-1423) stellen herausragende Beispiele für die burgundische Hochfkunst des Spätmittelalters dar. Ursprünglich waren die Grabmäler natürlich nicht für den Herzogspalast, sondern für die herzögliche Grablege in der Kartause in Champmol bestimmt, wo sie im Chor der Kirche aufgestellt wurden.
Blicken wir auf den liegenden Philipp II., so sehen wir, dass seine Augen geöffnet dargestellt sind, die Hände zum Gebet gefalteten auf seiner Brust liegen und er mit allen Insignien (den symbolischen Kennzeichen) seiner weltlichen Macht dargestellt ist. Die schildtragenden Engel geben uns einen Hinweis, wie diese Darstellung zu verstehen ist: Die Darstellung des Herzogs dient dazu, ihn am Tag des Jüngsten Gerichts zu repräsentieren, wenn die Körper wieder auferstehen und im besten Fall in den Himmel eingehen. Damit dies glücken kann, war die Fürbitte der Lebenden unabdingbar. Und unter diesem Vorzeichen müssen die Pleurants verstanden werden; sie ziehen in ewige Prozession und Fürbitte um das Grab. Doch darüber hinaus wurden die Pleurants nicht nur in ihrer Rolle als Fürbittende gezeigt, sie zeigen individuelle Formen trauernden Affekts. So sehen wir bei den Chorknaben, den Diakonen und den Vorsängern eine ernste Form der Trauer, die ihrer Tätigkeit im klerikalen Kontext würdig ist.
Daneben sehen wir Pleurants, die in ihrer Trauer nicht recht zu wissen scheinen, wie sie sich verhalten sollen. Unsicherheit und vielleicht auch ein wenig Verlegenheit mischt sich in ihre ausweichenden Blicke. Wie nahe die Künstler der Grabmäler Menschen in ihrer Trauer beobachtet haben, zeigt ein Pleurant, der versucht, seine Tränen durch zusammenkneifen des Nasenrückens zurückzuhalten. Am ergreifendsten sind aber vermutlich die trauernden Pleurants, die ihre Chaperons bis tief über das Gesicht heruntergezogen haben und mit dem Mantel ihre Tränen trocknen. In der Trauer verbergen sie ihr Gesicht und werden so auf sich selbst zurückgeworfen. Sie können nicht mehr mit den anderen Figuren interagieren und bleiben für uns die berührendsten und gleichzeitig unbekanntesten Figuren des Trauerzugs von Philipp.
Fabian Felder
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